
Der Sturm pfeift mir um die Ohren, der Regen peitscht mir ins Gesicht. Mein Handy zittert in der Hand, während ich verzweifelt versuche, die wütenden Wellen in einem Bild einzufangen. Ein bisschen frustriert bin ich an meinem ersten Tag auf Usedom schon – das Inselklischee von Sonne und Strand ist bei diesem Wetter eher Regen und Sturm.

Dabei ist Usedom eigentlich die Sonneninsel Deutschlands: Mit über 1 900 Sonnenstunden pro Jahr ist sie der Spitzenreiter in Deutschland – und macht ihrem Ruf normalerweise alle Ehre.
Immerhin hatte die Reise auf die Insel vielversprechend begonnen. Auf dem Weg nach Usedom haben wir einen Zwischenstopp beim Wasserschloss Mellenthin eingelegt. Das Renaissancebauwerk aus dem 16. Jahrhundert liegt malerisch auf einer Insel inmitten eines Wassergrabens.
Heute beherbergt das Schloss ein Hotel, eine eigene Brauerei, Kaffeerösterei, Schokoladenmanufaktur sowie ein urgemütliches Restaurant mit regionaler Küche. Die Atmosphäre ist einzigartig: Alte Gewölbe, knarzende Dielen und der Duft von frisch geröstetem Kaffee – ein perfekter Einstieg in den Kurzurlaub.


Doch nun auf der Insel dieses Wetter. Ich beschließe, mich davon jedoch nicht unterkriegen zu lassen. Richtig eingepackt und motiviert machen wir uns auf zum Baumwipfelpfad der Erlebnis Akademie in Heringsdorf.
Der barrierearme Pfad schlängelt sich auf 1.350 Metern durch die Küstenwälder und gipfelt in einem 33 Meter hohen Aussichtsturm, der der historischen Bismarckwarte nachempfunden ist. Trotz stärker werdendem Regen ein beeindruckendes Erlebnis – vor allem die Stationen mit Informationen zur heimischen Tier- und Pflanzenwelt machen den Weg abwechslungsreich.
Leicht durchnässt und durchgefroren kommen wir im Strandhotel Ahlbeck an. Das Haus liegt direkt an der Promenade, mit herrlichem Blick über den Strand auf die aufgewühlte Ostsee. In der Ferne blinken die Bojen, weisen Schiffen und Fähren den Weg. Mein Zimmer ist stilvoll eingerichtet und die Vorstellung, gleich in der Sauna zu entspannen, lässt die fehlende Sonne schnell vergessen.

Noch besser: Im sechsten Stock wartet das Restaurant PRIME – das höchste Restaurant der Insel. Mit regional-mediterraner Küche, frischem Fisch oder Steak vom Lavasteingrill und einem Panoramablick, der seinesgleichen sucht. Während sich der Küchenchef um meinen Fisch mit Spargel kümmert, genießen wir den stürmischen Sonnenuntergang bei einem Martini.
Am nächsten Morgen hat sich das Wetter glücklicherweise beruhigt. Ich schlendere an der Promenade entlang, die die berühmten Kaiserbäder Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin miteinander verbindet. Hier reiht sich Bäderarchitektur wie aus dem Bilderbuch aneinander: verspielte Balkone, Stuckfassaden, weiße Villen im Stil der Belle Époque. Ein Hauch von mondänem Kurleben liegt in der Luft.

Zu den bekanntesten Gebäuden zählt die Villa Staudt in Heringsdorf. Die eindrucksvolle Jugendstil-Villa wurde 1873 erbaut und 1905 von Konsul Wilhelm Staudt erworben – umgebaut im Stilmix aus Neobarock und Jugendstil. Berühmtheit erlangte das Haus, als Elisabeth Staudt dort Kaiser Wilhelm II. regelmäßig zum Tee empfing – damals ein gesellschaftliches Highlight, begleitet von viel Pomp und kaiserlicher Standarte.
Das Gebäude steht direkt an der Promenade, nur wenige Meter von der Heringsdorfer Seebrücke entfernt, mit Blick auf die Ostsee. Heute beherbergt es geschmackvoll sanierte Ferien-Lofts und -Appartement mit zeitgenössischem Interieur. Der Charme liegt in der Kombination aus historischem Ambiente und modernen Details – historisches Stuck, Mittelrisaliten, ein runder Eckturm – eine gelungene Hommage an Glanz und Geschichte.
Und dann – endlich – ist sie da: die Sonne! Schuhe aus, Socken runter, rein ins Wasser. Der Kälteschock ist heftig, aber ich halte tapfer durch – schließlich soll es gut für den Kreislauf sein.
Nach dem erfrischenden Bad meldet sich der Hunger. Am Vorabend hatte ich das Abendessen im Restaurant PRIME genossen – exzellent zubereitete Speisen, dazu ein Glas Wein mit Blick auf die untergehende Sonne über der Ostsee. Heute möchten wir etwas Neues probieren und besuchen das traditionsreiche Restaurant „Weißes Schloss“ in Heringsdorf. Das klassizistische Gebäude aus dem Jahr 1825 wurde ursprünglich als Sommerresidenz erbaut und beherbergt heute ein stilvolles Hotel mit Gastronomie. Von der Terrasse bietet sich ein herrlicher Blick auf die Ostsee, während wir regionale Spezialitäten genieße – geschmacklich wie atmosphärisch ein echtes Highlight.

Leider endet unser Aufenthalt auf Usedom schon am nächsten Tag, aber auf dem Rückweg Richtung Festland machen wir noch Halt bei der Inselmühle Usedom. Die liebevoll restaurierte Naturmanufaktur liegt etwas versteckt, aber der Umweg lohnt sich. Hier werden kaltgepresste Öle, Fruchtsäfte, Brotaufstriche und Spirituosen in Handarbeit hergestellt – alles regional, nachhaltig und ohne Zusatzstoffe. Ich decke mich mit Leinöl und Sanddornlikör ein – ein Stück Usedom für zu Hause.
Usedom hat mich überrascht – nicht nur wegen des wechselhaften Wetters. Zwischen Küstensturm und Kaiserflair, Baumwipfeln und Ostseestrand, Schlossromantik und Manufaktur-Charme bietet die Insel eine Vielfalt, die weit über Sonne hinausgeht. Und auch wenn der erste Eindruck vom Wetter getrübt war, bleibt am Ende das Gefühl, eine intensive, lebendige und genussreiche Zeit erlebt zu haben.
